UNItopia News: Brett Smalltalk, Gruppe Maerchen, Artikel 132

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Titel: Das Maerchen von der Traurigkeit
Artikel: 132                                           Bezug: 0
Verfasser: Sonrisa                                     Datum: 23.11.01 02:19:38
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Das Maerchen von der Traurigkeit 


Es war einmal eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlangkam.
Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht, und ihr Laecheln
hatte den frischen Glanz eines unbekuemmerten Maedchens. 

Bei einer zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter.
Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen, das da im Staub des Weges 
sass, schien fast koerperlos. Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit
menschlichen Konturen. 

Die kleine Frau bueckte sich ein wenig und fragte: "Wer bist du?"

Zwei fast leblose Augen blickten muede auf. "Ich? Ich bin die Traurigkeit",
fluesterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hoeren war. 

"Ach die Traurigkeit!" rief die kleine Frau erfreut aus, als wuerde sie eine
alte Bekannte begruessen. 

"Du kennst mich?" fragte die Traurigkeit misstrauisch. 

"Natuerlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast du mich ein Stueck des
Weges begleitet."

"Ja aber...", argwoehnte die Traurigkeit, "warum fluechtest du dann nicht
vormir? Hast du denn keine Angst?"

"Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weisst doch selbst
nur zu gut, dass du jeden Fluechtigen einholst. Aber, was ich dich fragen
will: Warum siehst du so mutlos aus?"

"Ich... ich bin traurig", antwortete die graue Gestalt mit bruechiger Stimme.

Die kleine, alte Frau setzte sich zu ihr.
"Traurig bist du also", sagte sie und nickte verstaendnisvoll mit dem Kopf.
"Erzaehl mir doch, was dich so bedrueckt." 

Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhoeren 
wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewuenscht.
"Ach, weisst du", begann sie zoegernd und aeuserst verwundert, "es ist so, 
dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die
Menschen zu gehen und fuer eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber
wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurueck. Sie fuerchten sich vor mir
und meiden mich wie die Pest." 
Die Traurigkeit schluckte schwer.
"Sie haben Saetze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen:
Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen fuehrt zu 
Magenkraempfen und Atemnot. 
Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen.
Sie sagen: Man muss sich nur zusammenreissen. Und sie spueren das Reissen
in den Schultern und im Ruecken. 
Sie sagen: Nur Schwaechlinge weinen. Und die aufgestauten Traenen sprengen
fast ihre Koepfe. 
Oder aber sie betaeuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht
fuehlen muessen."

"Oh ja", bestaetigte die alte Frau, "solche Menschen sind mir schon oft 
begegnet."

Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. 
"Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei
ihnen bin, koennen sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu 
bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist hat eine besonders duenne
Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, 
und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulaesst und all die ungeweinten
Traenen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar
nicht, dass ich ihnen dabei helfe.
Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen ueber ihre Narben. Oder sie
legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu." 
Die Traurigkeit schwieg. 
Ihr Weinen war erst schwach, dann staerker und schliesslich ganz verzweifelt. 

Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt troestend in ihre
Arme. 
Wie weich und sanft sie sich anfuehlt, dachte sie und streichelte zaertlich
das zitternde Buendel. 
"Weine nur, Traurigkeit", fluesterte sie liebevoll, "ruh dich aus, damit du
wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern.
Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht
gewinnt." 

Die Traurigkeit hoerte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete
erstaunt ihre neue Gefaehrtin:
Aber...aber - wer bist eigentlich du?

"Ich?" sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann laechelte sie wieder
so unbekuemmert wie ein kleines Maedchen. 
Ich bin die Hoffnung.


Ich weiss leider nicht von wem es ist... aber ich finds trotzdem schoen :o)
Gruss Sonrisa